Handelsblatt: STADA steigt in den Cannabismarkt ein – Mehr Akzeptanz für „Therapie, die noch immer stigmatisiert ist“
- 05.03.2021
Eins der größten deutschen Pharmaunternehmen lanciert seine ersten Cannabisprodukte. Noch sei es ein Nischenmarkt, doch Stada geht von einem großen Wachstumspotenzial aus.
Maike Telgheder, 05.03.2021
Frankfurt Cannabis ist nicht nur für Start-ups oder kanadische Hanfanbauer ein interessanter Markt. Ab Montag wird auch eines der größten deutschen Pharmaunternehmen in diesem Bereich aktiv werden: Die hessische Stada lanciert ihre ersten Blütenprodukte.
„Wir beobachten den Markt für medizinisches Cannabis seit geraumer Zeit und sind zu dem Schluss gekommen, dass es eine interessante Ergänzung unseres Portfolios ist“, sagt Eelco Ockers, Deutschlandchef von Stada. Es sei „eine Option für Menschen, bei denen etablierte Therapien nicht mehr oder nicht ausreichend wirken.“
Das Unternehmen hält Cannabis für einen vielversprechenden Markt: „Kurzfristig betrachtet ist es für uns eine Investition, mittelfristig aber wollen wir mit den Produkten wachsen und daran verdienen“, sagt Ockers.
Seit 2017 ist Cannabis für den therapeutischen Einsatz in Deutschland erlaubt und darf vom Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen verordnet werden. Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten die Therapie nach den bisherigen Erfahrungen in rund zwei Dritteln der Fälle. Insgesamt sind in Deutschland im vergangenen Jahr mehr als 320.000 Verordnungen bewilligt worden, rechnet man die für die ersten neun Monate vorliegenden GKV-Zahlen auf das Gesamtjahr hoch.
Die gesetzlichen Krankenkassen dürften brutto rund 150 Millionen Euro für Cannabis als Medizin ausgegeben haben. Damit ist Cannabis im Verhältnis zum gesamten GKV-Arzneimittelmarkt von mehr als 40 Milliarden Euro noch ein Nischenmarkt. Doch Stada-Manager Ockers geht davon aus, dass der Markt in Deutschland derzeit um rund 30 Prozent im Jahr wächst und das Potenzial hat, künftig noch schneller zuzulegen.
Die medizinische Wirkung von Cannabis geht vor allem auf die Inhaltsstoffe Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) zurück. THC wirkt berauschend und entspannend, CBD wird eine angstlösende und entspannende, aber auch entzündungshemmende Wirkung zugeschrieben.
Behandlung von Krankheiten des zentralen Nervensystems
Stada bringt zum Start zwei Blütenprodukte auf den Markt und will in den kommenden Monaten insgesamt fünf Blütenprodukte und drei Extrakte mit unterschiedlichen THC- und CBD-Konzentrationen anbieten. Das Unternehmen bezieht die Produkte von dem kanadischen Spezialisten MedipharmLabs, mit dem es im vergangenen Herbst eine Kooperation geschlossen hatte.
Laut Ockers will sich Stada vor allem auf die Indikationen chronischer Schmerz, Neurologie und Onkologie konzentrieren. 28 eigens für die Cannabisthematik geschulte Außendienstmitarbeiter sollen Ärzte zu medizinischen Aspekten und der Verordnung informieren. Stada ist mit einem Umsatz von 2,6 Milliarden Euro im Jahr 2019 derzeit das größte deutsche Pharmaunternehmen, das im Cannabismarkt aktiv wird.
Bereits im Januar ist die Firma Neuraxpharm aus Langenfeld im Rheinland mit vier Extrakten im Markt gestartet. Das 1985 gegründete Unternehmen mit weltweit rund 500 Millionen Euro Bruttoumsatz hat sich auf die Behandlung von Krankheiten des zentralen Nervensystems spezialisiert. Entsprechend konzentriert sich Neuraxpharm auch bei Cannabis auf diese Indikationen.
„Wir haben gute Kontakte zu Neurologen und Psychiatern. Man hat uns deutlich signalisiert, dass es einen Bedarf für Cannabis als Medizin jenseits der Indikation Schmerz gibt“, sagt Olaf Krampe, Deutschlandchef von Neuraxpharm. Etwa bei Epilepsie-Patienten, von denen ein Drittel solche starken Anfälle hat, dass sie mit den bestehenden Therapien nicht ausreichend behandelt werden können. Oder auch Parkinson-Patienten, die im Verlauf ihrer Erkrankung immer mehr Verkrampfungen erleiden. Auch bei Angststörungen seien bereits gute Erfahrungen mit cannabinoidhaltiger Medizin gesammelt worden, so Krampe weiter.
Akzeptanz von Cannabis als Medizin dürfte steigen
Mit dem Einstieg der Pharmaunternehmen erreicht der Cannabismarkt in Deutschland eine neue Reifestufe, meint Tobias Haber, Cannabisexperte bei dem Marktforschungsunternehmen Insight Health. „Die großen Anbieter bringen ein hohes Maß an Akzeptanz mit für eine Therapie, die noch immer stigmatisiert ist.“
Nach den Daten des Instituts gibt es derzeit etwa 90 Anbieter in Deutschland, die Cannabisblüten, -extrakte oder -arzneimittel vertreiben. 70 bis 80 davon importieren Blüten. Vor allem Start-ups und die kanadischen Cannabiskonzerne wie Canopy Growth, Aurora, Aphria und Tilray bestimmen den Markt. Daneben agieren Großhändler und kleinere Arzneimittelunternehmen wie Pohl Boskamp als Importeure.
„Die Pharmafirmen kennen den Arzneimittelmarkt. Der Zugang zu Ärzten hat natürlich eine ganz andere Qualität, wenn man schon über Jahre in dem Markt aktiv ist“, sagt Haber von Insight Health. Ein Vorteil sei auch, dass die Pharmafirmen nicht nur Cannabisblüten und Extrakte, sondern auch ihre anderen Medikamente aus dem Portfolio präsentieren können. „Durch Cannabis als Co-Medikation kann so eine ganzheitliche Therapie angeboten werden.“
Neuraxpharm sieht Cannabis als Wachstumsmotor für seine Entwicklung in Deutschland, wie Krampe sagt. Mittelfristig will das Unternehmen damit Umsätze in zweistelliger Millionenhöhe erzielen. Neuraxpharm kooperiert mit der israelischen Cannabisfirma Panaxia. Neben den vier Extrakten will das Unternehmen als Nächstes eine Lösung zum Inhalieren anbieten und später auch Ausgangstoffe anbieten, die zur Herstellung von Kapseln und Tabletten nötig sind.
Mit den verschiedenen Darreichungsformen will sich Neuraxpharm von Wettbewerbern differenzieren – eine Strategie, die das Unternehmen auch in anderen Bereichen verfolgt: „Speziell bei Cannabis soll der Apotheker die Produkte individuell für den Bedarf des Patienten herstellen können“, sagt Krampe.
In Zukunft will Neuraxpharm Medizinalhanf auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Tschechien, Österreich und Polen anbieten. In Frankreich ist das Unternehmen an einem staatlichen Modellprojekt zum Einsatz von Cannabis für medizinische Zwecke beteiligt, das für das Unternehmen ein Türöffner werden könnte, so Krampe. Auch Stada hat Ambitionen über Deutschland hinaus, wie Ockers bestätigt. „Wenn andere Märkte Cannabis als Medizin legalisieren, werden wir uns diese sicher anschauen, sagt er.
Marktexperte Haber erwartet, dass künftig weitere Pharmaunternehmen in den Cannabismarkt drängen. „Es gibt einige Anbieter, die ein Portfolio auch jenseits der Schmerzindikationen haben, das durch Cannabisprodukte gut ergänzt werden könnte. Der Vorteil von Cannabis ist derzeit ja noch, dass es nicht für eine bestimmte Indikation zugelassen wurde, sondern allgemein für eine schwere Erkrankung.“
Quelle: Handelsblatt, www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/marihuana-als-medizin-stada-steigt-in-den-cannabismarkt-ein-mehr-akzeptanz-fuer-therapie-die-noch-immer-stigmatisiert-ist/26975854.html