Frankfurter Allgemeine Zeitung: STADA will Goldstandard setzen
- 08.03.2021
Mit neuen Spezialmedikamenten setzt der Konzern Akzente, darunter ein Parkinson-Mittel. Auch medizinisches Cannabis kommt in die Apotheken.
Allein hierzulande leiden 400 000 Menschen an Parkinson. Nach Alzheimer ist es global die zweithäufigste neurodegenerative Nervenkrankheit. Waren es global 1990 noch 2,5 Millionen Parkinson-Patienten, wuchs die Zahl 2016 schon auf 6 Millionen. Tendenz steigend. Der Bedarf an Arzneimitteln ist also groß.
Zumindest für Patienten im fortgeschrittenen Stadium gibt es nun ein neues Medikament, das nach Meinung von Stada-Vorstandschef Peter Goldschmidt die Chance hat, „zum Goldstandard“ zu werden, wie er im Gespräch mit der F.A.Z. sagte.
Das nun in Deutschland und Österreich auf dem Markt eingeführte Parkinson-Mittel Lecigon sieht er als echten Wachstumsbringer für den Bad Vilbeler Hersteller von Generika, Spezialpharmazeutika und rezeptfreien Markenarzneien. Es ist ein Dreifach-Präparat, welches über eine Pumpe in Gelform abgegeben wird.
Stada hatte dafür im vergangenen Jahr Vertriebsrechte für eine Arznei von Lobsor Pharmaceuticals übernommen. Diese Kombination gebe es auf dem Markt nicht, sie sei zudem nicht teurer als bisherige Therapien. Darüber hinaus könne die Arznei den Lebensstandard der Patienten erhöhen.
Ein jährlicher Umsatz im dreistelligen Millionen-Euro-Bereich sei damit „absolut“ möglich, sagte er. „Ich habe sehr große Hoffnungen, dass es in unserem Portfolio eines, wenn nicht das führende Medikament wird“, ist er überzeugt. Das Produkt soll auf weiteren Märkten eingeführt werden. Länder auch außerhalb Europas, beispielsweise Indien und China, sind gemeinsam mit Partnern das Ziel.
Ein weiterer Wachstumsmarkt ist für Stada noch sehr neu. „Wir bieten medizinisches Cannabis an, also Extrakte und Blüten, das vom Arzt verordnet werden muss. Wir haben dafür einen großen Außendienst aufgebaut, über den wir mit Ärzten und Apothekern zusammenarbeiten“, sagte Goldschmidt. Von diesem Montag an werden die Produkte in hiesigen Apotheken verfügbar sein. Gerade im Schmerzmittelsegment sei medizinisches Cannabis eine gute Alternative.
Stada war dafür im vergangenen Jahr eine Partnerschaft und Liefervereinbarung mit Medipharm Labs eingegangen. Weitere europäische Märkte sollen folgen. Zwar ist der Bereich für Stada noch klein und zudem stark reguliert, dennoch verspricht sich Goldschmidt viel.
Das gilt auch für den amerikanischen Markt, in dem man bislang gar nicht aktiv war. Dort steigt man nun ein. „In den Vereinigten Staaten lancieren wir unsere eigenen Marken und haben weitere Zulassungen beantragt. In den nächsten zwei bis drei Jahren ist eine breite Palette an Produkten im verschreibungsfreien Segment geplant“, sagte er. Der Manager nennt Vitamine, diätetische Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel, „mit denen wir in den Markt gehen wollen“, sagte er. Dafür arbeite man mit Auftragsfertigern zusammen.
Zunehmend setzt das Unternehmen strategisch auf Partnerschaften und Einlizenzierungen. Allein im vergangenen Jahr habe man 80 neue Produkte auf diese Weise hinzugewonnen, sagte Goldschmidt. Neun Biosimilars, nachgeahmte biopharmazeutische Arzneien, zählt er in der Pipeline. Nach einer turbulenten Zeit, in der Stada nach einem Bieterrennen schließlich von den Finanzinvestoren Bain und Cinven übernommen worden war, hat sich der Konzern mit mittlerweile mehr als 12 000 Mitarbeitern wieder stabilisiert und ist zuletzt stark gewachsen.
Im ersten Halbjahr 2020 steigerte Stada den Umsatz trotz Pandemie um 16 Prozent auf rund 1,5 Milliarden Euro, der bereinigte operative Gewinn (Ebitda) fiel mit 337 Millionen Euro um 14 Prozent höher aus. Zahlen für das Gesamtjahr will das Unternehmen, das nicht mehr an der Börse notiert ist, in einigen Tagen vorlegen.
„Die Märkte und Segmente haben sich im vergangenen Jahr sehr unterschiedlich entwickelt“, sagt Goldschmidt. „Wir hatten starke Wachstumsmärkte, beispielsweise Russland, Vietnam und verschiedene europäische Länder. Eine Ausnahme bildet das Geschäft mit Erkältungsmitteln“, sagte er. In anderen Märkten, darunter der umsatzseitig größte Heimatmarkt Deutschland, sei es zu „massiven Einbrüchen“ gekommen.
„Die Menschen sind nicht mehr in die Apotheke, zum Arzt und teilweise nicht mehr ins Krankenhaus gegangen“, sagte er. Mineralstoffe wie Zink oder auch Vitamine seien hingegen sehr stark nachgefragt worden. Die eigene Produktion hat die Pandemie derweil wenig beeinflusst. Nur Anfang vergangenen Jahres musste in China staatlich angeordnet ein Werk für zwei Wochen geschlossen werden. Zudem hatte man die ohnehin hohen Sicherheitsstandards, die in der pharmazeutischen Produktion gelten, noch einmal verschärft. „Teilweise waren die öffentlichen Verkehrsmittel zu unsicher, so dass wir Fahrdienste organisiert haben“, erzählte er. Auch habe man die Versorgung über die Kantinen anders aufstellen müssen.
Um vorzusorgen, hatte Stada schon Anfang vergangenen Jahres die Lagerbestände hochgefahren. Künftig will man sich zudem unabhängiger aufstellen. „Für besonders relevante Rohstoffe haben wir eine zweite Lieferkette aufgebaut, so dass wir unsere Lieferzuverlässigkeit in den letzten zwölf Monaten noch erhöht haben“, sagte der Manager auch mit Blick auf politische Diskussionen um die Abhängigkeit von asiatischen Zulieferern. In dem Zusammenhang nannte Goldschmidt allerdings auch Probleme in der Krise. Denn in Vietnam hatte das Unternehmen eine eigene Produktionsstätte aufgebaut, in der auch Produkte für den europäischen Markt hergestellt werden sollen. Dafür muss das Werk allerdings noch durch die hiesigen Behörden abgenommen werden. Durch die Pandemie sind die allerdings in ihrer Arbeit ebenfalls eingeschränkt und können derzeit keine Genehmigungen im Ausland durchführen.
„Die Inspektion solcher Arzneimittel-Stätten im Ausland ist aktuell ein großes Problem. Das kann potentiell zum Verfügbarkeitsstau von Produkten führen“, warnte der Manager. Als Wachstumsmärkte – Russland ist für Stada der zweitgrößte Markt – sieht Goldschmidt zentral- und osteuropäische Länder. „Auch in asiatischen Ländern sehen wir noch großes Potential“, sagte er.
Künftig will er auch online stärker auftreten und zudem ältere Zielgruppen noch mehr einbeziehen. Weitere Einlizenzierungen sollen ebenfalls folgen. Die expansive Strategie der vergangenen Jahre war allerdings auch kostspielig. Die Nettoverschuldung stieg zur Jahresmitte 2020 auf knapp 2,5 Milliarden Euro. Das sei sicher ein relativ hoher Wert, gibt der Manager zu. Allerdings habe man auch in der Krise stabile Cash flows geliefert, so dass man kein Problem habe, zu guten Konditionen Kapital zu bekommen. Oder führt der Weg zurück an die Börse? Das sei eine Möglichkeit der theoretischen Zukunftsgestaltung, sagte er.
Quelle: Frankfurter Zeitung