Reizdarm - Wenn das Bauchgefühl Stress macht
Der Sitz der Seele wurde schon in vielen Organen verortet. Womöglich wohnt sie im Darm. Denn dass unser Verdauungsorgan unter Stress und psychischen Belastungen leidet, ist unumstritten. Wie stark wird erst seit Kurzem klar. Reizdarmsyndrom (RDS) heißen die funktionellen Darmstörungen ohne klaren Befund. Für die Betroffenen gibt es trotzdem Aussicht auf Besserung.
Chronische Bauchschmerzen, Blähungen, Verstopfung und Durchfall gehören in den Praxen von Hausärzten und Gastrologen zur Tagesordnung. Bei jedem zweiten Patienten heißt das Ergebnis der Routineuntersuchungen allerdings: kein Befund. Biomarker, anhand derer im Labor aus Blut, Stuhl oder Gewebe eine eindeutige Diagnose gestellt werden könnte, sind bislang nicht bekannt. Die quälenden Beschwerden aber sind Realität für die Betroffenen – und meistens chronisch. Eine Beobachtung von Menschen mit starken Darmstörungen zeigte: Nach sieben Jahren hatten über die Hälfte nach wie vor starke Beschwerden.
Reizdarmsyndrom – was ist das überhaupt?
Das unklare Krankheitsbild und der fehlende „Laborbeweis“ erfordern fast schon detektivische Fähigkeiten von den Ärzten – und viel Geduld von den Betroffenen. Entsprechend vage bleibt die vorgeschlagene Definition der Leitlinienkommission zu RDS. Sie lautet: Ein Reizdarmsyndrom liegt vor, wenn die Beschwerden drei Monate oder länger andauern, den Betroffenen derart beeinträchtigen, dass seine Lebensqualität stark leidet und er ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen muss sowie andere Ursachen nicht infrage kommen.
Symptome und Ernährung
Diagnose erfordert Geduld von Arzt und Patient
Und genau dieser letzte Punkt ist eine harte Nuss: Denn die RDS-Leitlinie listet weit über dreißig andere Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik auf. Sie reichen von Nahrungsmittelunverträglichkeiten bis zur Entzündung der Bauchspeicheldrüse, von Vireninfektionen bis zu Morbus Crohn (chronische Entzündung des Magen-Darm-Trakts). Umso wichtiger ist es, sich neben dem Hausarzt von verschiedenen Fachärzten eingehend untersuchen zu lassen. Frauen sollten auch den Gang zum Frauenarzt in Angriff nehmen, um mögliche Störungen bei der Gebärmutter oder den Eierstöcken auszuschließen. Entsprechend wichtig für die Diagnose ist eine ausführliche Krankheitsgeschichte. Denn so wenig man noch über die Ursachen von RDS weiß, eines ist sicher: Es braucht ein ganzes Orchester, um den Darm derart zu reizen.
Wonach sollte der Arzt fragen?
Zahlen und Fakten
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Bei ca 50%der Betroffenen liefern Routineuntersuchungen keine Befunde, die die Beschwerden ausreichend erklären
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20 - 30In diesem Alter sind Frauen doppelt so häufig betroffen wie Männer
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7%der Deutschen leiden unter dem Reizdarmsyndrom
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400verschiedene Bakterienarten siedeln im Dickdarm. Ihre Zahl wird auf unfassbare 10 Billionen geschätzt
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5 bis 7 MeterDer Darm misst zwischen 5 bis 7 Meter
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1,5 kgbringen die Bakterien des Dickdarms auf die Waage
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8-bis 15-fachDas Risiko für ein Reizdarmsyndrom ist nach einer bakteriellen Darmentzündung um das 8- bis 15-fache erhöht
Was weiß man über die Ursachen von RDS?
Eine erbliche Veranlagung gehört dazu, ebenso wie Umweltfaktoren wie einseitige Ernährung und ein Lebensstil mit wenig Bewegung. Vor allem die Psyche scheint einen großen Einfluss auf die Entwicklung von Darmstörungen zu haben. Menschen, die unter RDS leiden, haben häufig traumatische Erlebnisse, insbesondere Missbrauchserfahrungen hinter sich. Auch Depressionen, Angststörungen und Stress sind auffallend oft von Beschwerden im Darm begleitet. Bildlich gesprochen: Wer dicke Brocken zu verdauen hat, scheint seinen Darm damit zu überfordern.
5 Tipps bei Reizdarmsyndrom
Kann man RDS überhaupt behandeln?
Auch wenn es gegenwärtig keine Heilung für RDS gibt, lassen sich die Symptome lindern. Medikamente können bei akuten Beschwerden helfen, etwa um Schmerzen zu lindern oder Abhilfe bei Durchfall, Verstopfung oder Blähungssymptomen zu schaffen. Auf lange Sicht können grundlegende Veränderungen im Lebensstil den Darm zur Ruhe kommen lassen. Bewegung, eine ausgewogene, darmschonende Ernährung und Entspannungstechniken wirken sich in jedem Fall günstig auf Darmstörungen aus. Für die langfristige Behandlung erweisen sich indes psychotherapeutische Maßnahmen als besonders vielversprechend. Hier lernen die Betroffenen zum Beispiel, mögliche Auslöser für ihre Beschwerden zu erkennen und zu vermeiden. Auch Methoden wie Bauchhypnose führten in Langzeitstudien bei vielen Betroffenen zu einem bemerkenswerten Rückgang der Symptome. Insofern können wir von unserem oft von so viel Schamgefühlen besetzten Darm vor allem eines lernen: Körper und Seele bilden eine unauflösliche Einheit.
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Quellen:
- Winfried Häuser, Peter Layer, Peter Henningsen, Wolfgang Kruis: Funktionelle Darmbeschwerden bei Erwachsenen. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 109, Heft 5, 3. Februar 2012, S. 83-94
- S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom. Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. Gemeinsame Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM). Konsenskonferenz 18./19.9.2009, AWMF-Registriernummer: 021/016